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2010 - Festival Orgel PLUS

Nachricht vom 26.04.2011

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Am 01. Januar haben die 22. Festspiele "Orgel PLUS" begonnen. Bis zum 17. Januar finden insgesamt drei Gottesdienste und 18 Konzerte statt. Es werden auch Konzerte mit ungewohnten Instrumentenzusammenstellungen zu Gehör gebracht.

So spielt neben einer Orgel mit irischen Flöten, ein Dudelsack aus Irland, eine schottische Sackpfeife und einem Bajan (Akkordeon) gemeinsam zusammen. Berühmte Organisten wie Wolfgang Baumgratz, der auch einen Meisterkurs leitet und der Titularorganist von St. Sulpice Paris, Daniel Roth, werden Konzerte geben.

Festival Orgel Plus: Premiere und eine Schatzsuche

Die Konzertstafette „Orgel Plus" lebt von den Kontrasten und von der Vielseitigkeit, von den zitierten Epochen und von der Lebendigkeit heutiger Aufführungspraxis.

Zwei Programme stehen stellvertretend für diese Konzeption und Auflage: Am Freitag gab es eine Premiere der besonderen Art im praktisch ausverkauften Kammermusiksaal, wo auf dem Podium vier mobile, zierliche (Truhen-)Orgeln positioniert waren, die in unterschiedlicher Kompaktheit gespielt wurden - mal eine, mal zwei, dann drei und sogar vier Instrumente waren im Einsatz. Am Samstag galt in der Liebfrauen-Kirche, schwächer besucht angesichts des Winterwetters, das Interesse einer (fast vergessenen) Orgelsolomesse des Klassikers Joseph Haydn (Hoboken XXII,4). Hier fungierte der Städtische Musikverein mit seinem begeisterungsfähigen Mentor und Dirigenten Friedrich Storfinger wieder als „Schatzsucher".

Zunächst also der Abend mit den Orgelsolisten Thomas Pauschert, Wolfgang Kläsener, Andreas Boltz und Johannes Krutmann sowie den ausgezeichneten „Orchester"-Solisten Daniel Deuter, Violine, Margret Baumgartl, Violine, Wolfgang von Kessinger, Viola, Sybille Huntgeburth, Cello, und Eberhard Maldfeld, Kontrabass - eine homogene, auf historischen Instrumenten spielende Einheit von seltener Geschlossenheit.

Dieses Repertoire zwischen einer und vier Orgel(n) stammte ausschließlich aus dem Fundus von Thomaskantor Johann Sebastian Bach. Aber es waren fast alles Bearbeitungen, doch so klangen sie nicht. Alle neun Musiker verstanden sich als Anwalt authentischer Klänge. Dabei „mogelte" sich auch ein Kopier-Opus hinein: Denn Bach nahm ein Konzert des italienischen Superstars Antonio Vivaldi (BWV 1065) zum Anlass, die Bandbreite von vier Cembali (hier: Orgel) im Zusammenspiel mit Streichern und Basso continuo zu testen. Das berühmte Vivaldi-Werk "Die vier Jahreszeiten" war dabei nicht weit entfernt.

Insgesamt: ein Programm der europäischen Superklasse.

Die kürzlich angeschaffte Truhen-Orgel (finanziert von der Sparkasse) hatte also ihren ersten großen Einsatz - und sie bestand ihn souverän. Dank der imponierenden Solisten.

In Liebfrauen exponierte sich Musikmentor und Dirigent Friedrich Storfinger einmal mehr als Schatzsucher. Denn die „Große Orgelsolomesse zu Ehren der Jungfrau Maria" gehört zu den (fast vergessenen) Werken des Wieners. Man kann es kaum verstehen, denn die Missa besitzt volkstümliche Melodien, Tempo und Nachdenklichkeit, Balance (zwischen Solisten, Orchester, Chor) und Stimmenglanz. Der Städtische Musikverein sang Haydn, als stünden nur Wiener in den Reihen des traditionsreichen Chores. So geschlossen und stilgenau hat man den Musikverein selten erlebt.

Aber auch die vier Gesangssolisten (Jutta Potthoff, Sopran, Dagmar Linde, Alt, Jörg Nitschke, Tenor, Wolfgang Tombeux, Bass) passten sich dieser Klassikwürdigung an. Und das Folkwang-Kammerorchester war die Nuance (auch beim Englisch Horn als Spezialität dieser Messe-Sätze) bestens präpariert.

Das zweite Chorstück des stark applaudierten Abends war die Bach-Kantate „Wie schön leuchtet der Morgenstern" (BWV 1), passend zum nahen Dreikönigs-Tag. Hier lichtete Storfinger zusammen mit den rund 50 Mitgliedern des Musikvereins das dichte Notengeflecht Bachs mustergültig auf.

Zwei Konzerte, die den Pluralismus-Anspruch des Bottroper Festivals eigenwillig und doch spezifisch unterstrichen. Nun folgt die zweite Woche des Musikmarathons.

(Hans-Jörg Loskill, WAZ Bottrop vom 10.01.2010)

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