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2016 - Förderung des Bottroper Kammerorchesters

Nachricht vom 02.09.2016

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In der Reihe „Klangturm Malakoff“ spielte das Bottroper Kammerorchester unter Mark Andreas Schlingensiepen die Musik zu Murnaus Stummfilm „Tabu“ von Violeta Dinescu.

Ambitioniert, mutig, außergewöhnlich: Das Bottroper Kammerorchester hat mit seinen Konzerten im „Klangturm Malakoff“ stets das besondere Repertoire gepflegt, nicht zuletzt das zeitgenössische. Neue Musik, ausgehend von Arnold Schönberg, steht denn auch im Fokus von Beate Schmalbrock, Nachfolgerin von Kai Röhrig als künstlerischer Leiterin.

Ihr Einstand, ein Filmkonzert mit Friedrich Wilhelm Murnaus „Tabu“, unterfüttert von den Klängen der rumänischen Komponistin Violeta Dinescu, gelingt famos. Ein spannender Abend, dirigiert von Mark-Andreas Schlingensiepen, der Stummfilmkunst und kompositorische Raffinesse zusammenbringt.

Große Gefühle und Atmosphäre„Tabu“, Murnaus letzte Arbeit von 1931, zeigt ein Südseeidyll, das langsam zerbröselt. Im Zentrum steht das Mädchen Reri und ihre Liebe zum Perlentaucher Matahi. Ihr Paradies wird jäh zerstört durch einen alten Ritus: Ausgerechnet Reri wird auserkoren, den Göttern als Jungfrau zu dienen. Sie soll dem alten Priester Hitu folgen und wird mit dem Tabu belegt, dass kein Mann sie anrühren darf.Aus dem Paradies wird bei Murnau „Paradise lost“. Das Paar flüchtet sich auf eine Kolonialinsel, Matahi gerät in die Fänge geldgieriger Betrüger, Reri muss schließlich dem alten Priester auf dessen Schiff folgen. Ihr Geliebter ertrinkt beim Versuch, sie zurückzuholen.Violeta Dinescus Musik setzt einerseits auf große Gefühle, zum anderen auf Atmosphärisches, ohne jedoch platt zu illustrieren. Die Unruhe etwa, die zu Beginn durchs 15-köpfige Orchester fährt, getragen von wilden Figurationen, Glissandi und Schlagwerkimpulsen, gilt weniger dem fröhlichen Fischen und Flirten der Insulaner. Vielmehr verweist die Komponistin so auf die Gefühlswirren des Liebespaars, stärker noch auf die Kraft des schäumenden und unberechenbaren Ozeans. Das klingt anfangs noch etwas nervös, doch mehr und mehr gewinnt das Orchester an Sicherheit und Gestaltungskraft. Sehr schön werden einzelne Leitklänge herausgearbeitet, die Dinescu verwendet, um Personen oder Szenen zu charakterisieren. Archaisch wirkende Posaunentöne stehen für den Priester, mit einem Gesicht wie in Stein gemeißelt. Die Klarinette umschmeichelt das Liebespaar, kann aber auch abrupte Gefühlsausbrüche in aller Schärfe nachzeichnen.Eine dieser klanglichen Schlüsselfunktionen kommt dem Schlagwerk zu. Mit sanften Impulsen vermag es eine Mondnacht zu evozieren, dann wieder wild und furios das Trommeln der Insulaner nachzeichnen. Neue Musik – sie kann so sinnlich wie spannend sein.

07.03.2016 / Martin Schrahn / WAZ
www.derwesten.de/staedte/bottrop/das-verlorene-paradies-in-bild-und-ton-id11630301.html

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